OTTO EBERHARDT: VENEDIG
Aquarelle und Holzschnitte in der Villa Meixner, Brühl, 21.11.-7.12.2003
„Langsam werden deine Bilder wirklich gut...!“
Die Stadtbilder Otto Eberhardts sind architektonische Landschaften als gemalte Skulpturen. Daher menschenleer. „Wenn man entscheidet, Menschen zu malen, bleiben auf der Leinwand Scharen von halbnackten Tieren, die auf der Jagd nach Raffael... nach Palästen und Coca-Cola sind. Berühmte Städte sind nur schön, wenn sie schlafen.“ (Alexeij Zakharine)
Otto Eberhardt intendiert die spannungsgeladene Komposition. Er will die Entfaltung der Farbe und des Lichts im Bild. „Drei Farben genügen, das gibt Farbkultur“, meinte schon HAP Grieshaber, Eberhadts Lehrer an der Karlsruher Akademie. Die formalen Aspekte sind ihm wesentlich, und nicht die Darstellung seelischer Befindlichkeiten. Wenn die Bilder aber seelische Wirkungen im Betrachter auslösen, spricht das für die Kraft ihrer Komposition und ihrer Farben. Die Strenge der Malweise ist „die Bemühung um das Wesentliche, gar nicht mehr so sehr die Liebe zum Sujet“, schrieb mir Otto Eberhardt schon vor Jahren.
„Zur Strenge gehört für mich auch das Problem der Genauigkeit, an der sich manche, gerade die ‘Genies’, stoßen. Was ist genau? Es ist der Strich des Flach-Pinsels (Grieshaber). Was kann ich dafür, wenn er zum Mauerstein, zur Säule oder zum Engel wird? Freilich muss etwa die Kuppel des Domes zeichnerisch eine solche bleiben und darf nicht zur beliebigen Form werden, zur umgestülpten Tasse. Die Schwierigkeit liegt - bei den klassischen Vedutisten wie bei uns heute - in der Einbindung in ein Bildganzes.“ Von innen betrachtet heißt das: Jeder Ausschnitt von 2 mal 2 cm muss in sich ein gutes Bild sein (Grieshaber), es muss also den Aspekt der Ganzheit auch im Kleinen in sich tragen, damit das Bildganze am Ende mehr als die Summe seiner Teile ist. So gesehen sind Otto Eberhardts optische Kompositionen kosmische Bilder.
Interesssant ist in diesem Zusammenhang ein Zusammenhang seiner Bilder mit der visuellen Lyrik von Pierre Garnier, dem Begründer des Spatialism. Garnier zeichnet seine Gedichte in der optimalen Beschränkung auf die einfachsten Mittel, er will mit einem Minimum an Formen ein Maximum an Inhalten erreichen und im Betrachter weitreichende Ideen und Assoziationen auslösen. „Es existiert eine große Freiheit in Benennung und Eindrucksschaffung“, meint Pierre Garnier. „Je einfacher die Form, desto größer die Möglichkeit einer Namensgebung und Poetisierung... Der Geist des Betrachters wird auf die Bezüge verwiesen, die er herstellen kann... Die einfachste Konstruktion löst im Geist ein poetisches Schaffen aus: ein Raum- und Flächensehen, ein Linienziehen, Kolorieren, Beleben...“
Die Schönheit der Aquarelle Eberhardts liegt also - wie bei Vermeers Ansicht von Delft - in der Dichte der Malweise und in der Ordnung der Formen und Farben, und sie liegt auch in der Idee der Sicht: Nicht heute, nicht Zufall, sondern Genauigkeit und Konzentration auf die Gebäude, auf die architektonischen Linien, die Ordnung von Himmel, Steine, Pflanzen, Vordergrund: Es ist eine ausgewählte Genauigkeit: Wie alte Vokabeln, die neu gesprochen werden in neuen Wortfeldern.
Andererseits: Die Bilder stehen nicht nur für sich, sondern manchmal auch in einer Reihe. Ich meine die vier weißen Bilder „Salute von Rio Terra“, „S. M. del Giglio“, „Palazzo Pisani“ und „Rialto“. Es sind dies Variationen innerhalb der Farbe. Aus der Perspektive des Malers hat Otto Eberhardt zweifelsohne Recht, wenn er die Ausschöpfung der Farbe im Spielraum von architektonischen Flächen und farblichen Kontrasten bis hin zur je unterschiedlichen Licht-Stimmung mit Beethovens Klavier-Variationen c-moll vergleicht. Der Betrachter (oder Hörer) wird aber nicht immer oder nicht so ausschließlich die Sichtweise des erschaffenden Künstlers einnehmen, sondern als nachschaffender Betrachter, der ja im besten Fall ein passiver Künstler ist, sich frei fühlen für andere Interpretationen. Er kann etwa sagen: Das strahlende Weiß der Bilder hat nicht die dunkle und schwere Stimmung der Beethovenschen Variationen... Andererseits: Moll ist nicht immer Moll, nicht immer dunkel. Oder: Das Schwere kann auch in lichter Gestalt daherkommen. In den weißen Bildern ragen die Gebäude bedrohlich vor dem Betrachter auf, und zugleich bewahren sie sich ihr Geheimnis, so abweisend leuchten die Wände. Die Brücke, die im Vordergrund zum Geheimnis führt, ist leer, wie eine Grenze, gefährlich erscheint der Weg. Dramatisches Leuchten am Himmel in schwingendem Weiß verstärkt diese Wirkung.
Venedig ist die Stadt, die vom Himmel herabgestiegen ist, heißt es - da haben die Götter, da hat Gott selber gebaut! Das sind Gottes Kunstwerke. Das ganze Ensemble ist Stein gewordenes Paradies. Unbewohnbar für unvollkommene Menschentiere. Wir sehen, das ist Utopia. Da darf kein Tourist das Bild stören, denn er vernichtet die Idee. Wenn wir es mal so betrachten, malt Otto Eberhardt nicht das profane alltägliche Leben, sondern die Erschaffung Gottes durch den Menschen: Die Kunst. Seine Aquarelle thematisieren die Kunst, sie sind Bilder über die Kunst. Otto Eberhardt, der ein religiöser Mensch ist, wird es vielleicht eher so formulieren: Diese Bilder sind Gebete eines Menschen, der aus sich heraus die Wahrheit zur Schönheit zum Bild kristallisiert.
Aus diesem Grund ist der Mythos vom Zerfall, die Vergänglichkeit Venedigs nicht oberflächlich thematisiert: Eberhardt zeigt in den Bildern die reine Idee der Kunst- und Gottes-Stadt. Romantische Sehnsucht oder die heute vulgär-sentimentale und geradezu kitschige Anbetung des Zerfalls interessiert diesen Aquarellkünstler nicht. Schon deswegen nicht, weil die Stadt Venedig einen Aufbauwillen hat, der ein der ganzen Welt einmalig ist. Otto Eberhardt stellt den Zerfall nicht dar, aber nicht um heile Welt zu beschwören, sondern die Idee der Kunst, die diese Stadt verkörpert. Diese Stadt ist ein gebautes Bild, sie ist die Idee - in Stein und Wasser gehauen. Diese Idee ist ihm heilig wie jedem Künstler zu allen Zeiten.
„Ich male, wie ich es brauche“, meint Eberhardt. „Mir sind ruhige Flächen wichtig für die Komposition. Die Vielfalt der Formen weckt natürlich auch die Lust zum Virtuosen.“ (z. B. im Aquarell „S. Boldo“)
„Ein weiteres Problem sind die geraden Linien, die wirklich schiefen Türme meide ich bewusst. Ich zeichne gerade Linien und stelle fest: Es stimmt nicht. Bis ich entdecke, dass sie eben nicht ganz gerade sind; sie tragen eben dadurch viel zum lebendigen Bild und Stadtbild bei.“
Die Titel sind streng topographisch, sie vermeiden jede Anspielung auf Gefühle oder Stimmungen. Das Wasser z. B. bleibt Wasser, wird nicht Urelement, nicht Lebensspender, nicht Bedrohung, nicht ökologisches Problem.
Mozart schreibt: „In den ersten acht Takten bin ich frei, dann bin ich gebunden.“ Das gilt auch für die Malerei: Der Farbakkord liegt fest; die Komposition hat ihre Gesetze: Die Einheit von Motiv, Komposition und Farbe.
Es muss auf den Bildern kompositorisch und farblich etwas los sein. Eberhardts Bilder entwickeln eine Dynamik in Farbe und Komposition, die das Motiv von sich aus noch nicht hat: Daher die Vorliebe für die Diagonale („Giudecca“), die gleißenden, bewegten Himmel („La Salute von Rio Terrá“).
Gerade die großen Formate wollen auch farblich durchgehalten sein. Bei „Palazzo Pisani“ ist die linke Hälfte weiß, die rechte hat kräftiges Caput mortuum und Orange. Aber das Bild zerfällt nicht. Im Gegenteil, die beiden Hälften, die dialektisch zueinander stehen, erzeugen erst die Ganzheit des Bildes.
Auch ein Baum oder Strauch verlangt eine genaue Formulierung. Sie muss sein ein Portrait, wie ein Gesicht oder ein Gebäude. Nicht das einzelne Blatt am Baum - das ist unmöglich - der Pinselstrich muss genau sein.
Der Aquarellmaler Otto Eberhardt ist ein Gigant. Seine Aquarelle überbieten das allermeiste, das ich in dieser Art kenne. Dieses große Format erreicht kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler, mir fällt hier nur Horst Janssen ein, und dann die alten Meister, aber die haben auch selten in so großen Formaten aquarelliert. Ich wage zu sagen: Die vom Himmel gefallene Idee Venedigs fließt aus der Hand Otto Eberhardts ins Bild. Er formuliert in diesen Aquarellen den Kosmos.
Nicht mehr und nicht weniger.
OTTO EBERHARDT: FARBHOLZSCHNITTE
Holzschnitte im Rathaus Lingenfeld 15.9.-1.10.2006
Kunst = Natur – x, sagte Arno Holz in seiner Schrift „Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze“ 1891, mit x ist die Lücke gemeint, die sich zwischen der Auffassung des Künstlers und der des Betrachters auftut. Diese Formel gilt grundsätzlich immer. Sie meint aber nicht nur den Grundgedanken unterschiedlicher Sichtweisen zwischen Künstler und Betrachter, sondern auch die Unmöglichkeit, die Natur vollständig abzubilden. In der Darstellung verliert die Natur immer etwas – aber zugleich gewinnt sie in der Reduktion durch Konzentration auf das Wesentliche, und dies ist ein wichtiges Merkmal der Kunst. Der indische Künstler Shihab, der kürzlich sein Studium an der Karlsruher Akademie abschloss (er ist heute unter uns), meint zu dieser Reduktion bei Otto Eberhard: „Deine Bilder sind längst nicht mehr gegenständlich.“
Renato Guttuso: Das Werk verlangt seine eigene Gesetzmäßigkeit. Oder Mozart: „In den ersten acht Takten bin ich frei, dann bin ich gebunden.“ Das gilt auch für die Malerei: Farbakkord und Komposition werden vorab festgelegt. Das führt zu einer Art aristotelischer Einheit von Motiv, Komposition und Farbe. Auf den Bildern muss kompositorisch und farblich etwas los sein, sie müssen eine Dynamik entwickeln, die das Motiv von sich aus noch nicht hat. Eine solche Haltung, die das Kunstwerk als kosmische Wiederholung und Neuerschaffung sieht, lehnt jede postmoderne Beliebigkeit ab, sie sucht nach Gesetzmäßigkeit und stilistischer Einheit im einzelnen Werk und Stimmigkeit im Werkganzen.
Was sehen wir in dieser Ausstellung?
Nur Holzschnitte! Nach einer längeren Zeit stellt Otto diesmal eine repräsentative Auswahl seiner Holzschnitte aus allen Arbeits-Phasen aus – aus den 60er Jahren bis heute. Ich freue mich sehr darüber, weil ich der Auffassung bin, dass wir hier mehr als bei den Aquarellen den kühnen, nach vorn gewandten Künstler sehen.
Die Holzschnitte sind im Stil erstaunlich einheitlich, die neueren Holzschnitte jedoch werden – vielleicht unter dem Einfluss der vielen in den letzten Jahren entstandenen, sehr großformatigen Aquarellen – immer malerischer, sie entfernen sich von aller Ornamentik, die es anfangs hier und da gab, etwa bei den Tierbildern im Kreis (es sind allerdings keine Tierkreisbilder).
Die Themen: Neben den frühen Tierbildern sehen wir italienische Landschaften, darunter Venedig. Hier bestechen mich die weißen Flächen, Auslassungen als eine Methode der Reduktion. Grieshaber meinte: Positiv- und Negativformen müssen beide gleich gut sein und einander verstärken! Das gelingt hier besonders deutlich. In dem Bild „San Giorgio Maggiore II“ und noch mehr in „Lagos, Ponta de Piedada“ (das ist das Titelbild) sind nur die drei Grundfarben, dazu diese zwei und zwei gemischt, dazu zwei Farben Vollton und Halbton. Das ist viel Arbeit und braucht einige Erfahrung. In einem Teil dieser Ausstellung sind die einzelnen Zustände eines Holzschnitts zu sehen. Weitere Themen: Rom. Gransasso. Algarve. Und nicht zuletzt: Die Pfalz, deren Landschaftsbilder mir ganz besonders gefallen: Bärenbrunnertal und Rheinauen bei Ketsch.
Alle Holzschnitte sind Handdrucke – jeder einzelne Abzug ist je eigen, im Unterschied zum Maschinendruck, und damit fast schon als Monotypie zu sehen. Die Holzschnitte weisen bis zu acht Farben auf, Farbüberdrucke nicht gerechnet.
Die großen Formate verdanken sich den Holzstöcken, die Otto Eberhard aus alten Schulbänken gewann. Um 1960 herum wurden die alten Schulbänke aus dem Jahr 1884, in denen ich damals selber im Neuenbürger Gymnasium gesessen habe, durch neue Möbel ersetzt. Der Hausmeister Finkbeiner machte auf dem Schulhof mit der Axt Kleinholz aus ihnen, da kam Otto Eberhard, der am Gymnasium unterrichtete, auf die Idee, die Tischplatten für seine Holzschnitte zu verwenden. Es gab dann später auch eine Ausstellung im Pforzheimer Reuchlin-Haus, aber da ging ich nicht hin, mir fehlte noch das Interesse an der modernen Kunst. Auf einem der hier zu sehenden Holzschnitte können Sie übrigens noch einen kleinen Hund sehen, den ein Schüler ins Holz ritzte.
Worauf kommt es Otto Eberhardt an?
Auf die Komposition und die Eigengesetzlichkeit seiner Bilder.
Er will bewegte Kompositionen. Keine irgendeiner Aktualität hinterher laufenden Inhalte. Das zeigt sich auch in den nüchternen Bildtiteln, die meist nur topographische Angaben enthalten. „Der Topographie bin ich treu“, sagt Otto Eberhardt, „aber in Wirklichkeit geht es mir um bildnerische Werte – entsprechend suche ich meine Bildvorstellungen in der ganzen Welt.“ Das Wasser zum Beispiel hat also eine rein kompositorische Funktion, keine mystische, ökologische oder soziologische! Trotzdem können die Bilder im Betrachter seelische Wirkungen haben, aber das ist nicht primär – die Grundlage aller solcher Wirkungen ist die formale Behandlung der Natur.
Otto Eberhardt malt die Natur, Landschaften im weitesten Sinn: Die Landschaft draußen und Städtelandschaften, beide sind längst Architekturen des Menschen, und implizit ist also der Mensch in diesen Bildern vorhanden. Primär ist der Mensch Gegenstand in mythologischen Szenen und Porträts, von denen heute auch einige zu sehen sind: Monsieur LeBeau, eine namenlose Negerin auf einen Schiff, das den Victoria-See überquert, eine Frau, die Bäuerin Ottilie Baumann. Auch hier geht es nicht um Abbildung, sondern um die Eigengesetzlichkeit des Bildes. Nur wenige Attribute der Person gewinnen inhaltliche Bedeutung: Etwa die Pfeife des schönen Franzosen, oder die Hand, die die Bäuerin Ottilie Baumann als leidenschaftliche Leserin – in bester Renaissance-Tradition gemalt – auf das Buch legt, oder der Füller und das Manuskript in der Hand des Schriftstellers.
Fazit: Die Holzschnitte Otto Eberhardts sind eine ganz andere Welt als die seiner Aquarelle. Hier finde ich den Künstler besonders nah an seinem früheren Lehrer HAP Grieshaber, von dem er Wesentliches in dieser Technik lernte – und zugleich besonders eigenständig in den Formulierungen, auch kühn, indem er die Reduktion hier am weitesten trieb, und modern im weiten Feld einer sehr vielgestaltigen Moderne.
Die Ästhetik deiner Holzschnitte liegt in der Dichte und Reduktion deiner Zeichnung und in der Ordnung deiner Formen und Farben, und sie liegt in der Idee deiner Sicht: Nicht heutige Aktualität im Konkreten, nicht Zufall und Beliebigkeit, sondern Genauigkeit und Konzentration auf die Gebäude oder die Natur, die architektonischen Linien, die Ordnung von Himmel, Steinen, Pflanzen und Vordergrund: Das ist eine gewählte Genauigkeit, das sind alte Vokabeln neu gesprochen, neu ausgeschöpft.
Das große Format – im doppelten Sinne – erreichen in den druckgraphischen Werken nur wenige zeitgenössische Künstler, etwa Grieshaber, und dann die alten Meister.
Ulrich Bergmann
Otto Eberhardt – Farbholzschnitte
in der Villa Meixner, Brühl / Schwetzingen
15.10.2010
Was sehen wir in dieser Ausstellung? Ins Holz geschnitzte Paradiese!
Otto Eberhardt zeigt eine repräsentative Auswahl – von den 60er Jahren bis heute. Ich freue mich sehr darüber, weil wir hier noch mehr als bei den Aquarellen den kühnen, nach vorn gewandten Künstler sehen.
Die Themen: Neben den frühen Tierbildern sehen wir Bilder aus Rom und Venedig. Hier bestechen die weißen Flächen, Auslassungen als Methode der Reduktion. Grieshaber meinte: Positiv- und Negativformen müssen beide gleich gut sein und einander verstärken! Das gelingt hier besonders deutlich. In dem Bild „San Giorgio Maggiore II“
und noch mehr in „Lagos, Ponta de Piedada“
sind nur die drei Grundfarben, dazu diese zwei und zwei gemischt, dazu zwei Farben Vollton und Halbton. Das ist viel Arbeit und braucht einige Erfahrung. Weitere Themen: Ägypten und Zentralafrika, Porträts, einzelne Bilder von Schwetzingen, Algarve, Montblanc – und die Pfalz, deren Landschaftsbilder mir ganz besonders gefallen: Bärenbrunnertal und Rheinauen bei Ketsch.
Alle Holzschnitte sind Handdrucke – jeder einzelne Abzug ist je eigen, im Unterschied zum Maschinendruck, und damit fast schon als Monotypie zu sehen. Die Holzschnitte weisen bis zu acht Farben auf, Farbüberdrucke nicht gerechnet.
Die großen Formate verdanken sich den Holzstöcken, die Otto Eberhardt aus alten Schulbänken gewann. Um 1960 herum wurden die alten Schulbänke aus dem Jahr 1884, in denen ich damals selber im Neuenbürger Gymnasium gesessen habe, durch neue Möbel ersetzt. Der Hausmeister Finkbeiner machte auf dem Schulhof mit der Axt Kleinholz aus ihnen, da kam Otto Eberhardt, der am Gymnasium unterrichtete, auf die Idee, die Tischplatten für seine Holzschnitte zu verwenden. Es gab dann später auch eine Ausstellung im Pforzheimer Reuchlin-Haus, aber da ging ich nicht hin, mir fehlte noch das Interesse an der Kunst. Auf einem der hier zu sehenden Holzschnitte können Sie übrigens noch einen kleinen Hund sehen, den ein Schüler ins Holz ritzte.
Worauf kommt es Otto Eberhardt an?
Auf die Komposition und die Eigengesetzlichkeit seiner Bilder. Er will bewegte Kompositionen. Keine irgendeiner Aktualität hinterher laufenden Inhalte. Das zeigt sich auch in den nüchternen Bildtiteln, die meist nur topographische Angaben enthalten. „Der Topographie bin ich treu“, sagt Otto Eberhardt, „aber in Wirklichkeit geht es mir um bildnerische Werte – entsprechend suche ich meine Bildvorstellungen in der ganzen Welt.“ Das Wasser zum Beispiel hat also eine rein kompositorische Funktion, keine mystische, ökologische oder soziologische. Trotzdem können die Bilder im Betrachter seelische Wirkungen haben, aber das ist nicht primär – die Grundlage aller solcher Wirkungen ist die formale Behandlung der Natur.
Otto Eberhardt malt die Natur, Landschaften im weitesten Sinn: Die Landschaft draußen und Städtelandschaften, beides ist längst Menschen-Architektur geworden, also ist der Mensch in diesen Bildern implizit vorhanden. Primär ist der Mensch Gegenstand in mythologischen Szenen und Porträts, von denen heute auch einige zu sehen sind. Auch hier geht es nicht um Abbildung, sondern um die Eigengesetzlichkeit des Bildes. Nur wenige Attribute der Person gewinnen inhaltliche Bedeutung: Etwa die Pfeife des schönen Franzosen, oder die Hand, die die Bäuerin Ottilie Baumann als leidenschaftliche Leserin – in bester Renaissance-Tradition gemalt – auf das Buch legt, oder der Füller und das Manuskript in der Hand des Schriftstellers.
In den Holzschnitten finde ich Otto Eberhardt, der von seinem früheren Lehrer HAP Grieshaber Wesentliches an Komposition und Technik lernte, absolut eigenständig in den Formulierungen, auch kühn, indem er die Reduktion hier im Unterschied zu seinen Aquarellen von Anfang an viel weiter trieb. Er ist modern, weil er den zur Zeit eher verflachenden Sinn des Modernen übersteigt, indem er ihn einfach übergeht.
Die Ästhetik der Holzschnitte liegt in der Dichte und Reduktion der Zeichnung und in der Ordnung der Formen und Farben, und sie liegt in der Idee deiner Sicht: Nicht heutige Aktualität im Konkreten, nicht Zufall und Beliebigkeit, sondern Genauigkeit und Konzentration auf die Gebäude oder die Natur, die architektonischen Linien, die Ordnung von Himmel, Steinen, Pflanzen und Vordergrund: Das ist eine gewählte Genauigkeit, das sind alte Vokabeln neu gesprochen, neu ausgeschöpft.
Dieses große Format – im doppelten Sinne – erreichen in den druckgraphischen Werken nur wenige Künstler, etwa Grieshaber, und manche alte Meister.
Das Bild übersteigt die Realität, indem es sie unterläuft, der Bildner geht sozusagen an der Wirklichkeit vorbei, um in sie hineinzugelangen. Er will nicht ihr äußerliches Scheinbild, sondern das Innere erfassen, das Wesen, das Gesetz dessen, was wir mit allen unseren Sinnen sehen, also wahrnehmen. Im übrigen ist ja die Wirklichkeit nichts Statisches, sie ist nicht einfach so, wie sie ist, wie man so sagt, sondern sie wird ja erst durch Deutung. Da ist es mit einer einzigen Perspektive nicht getan, sie wäre im Ergebnis zu arm. Daher die Bilder in der Kunst der Literatur, im Gedicht – und auch in der bildenden (!) Kunst: Ein Bild ist immer ein Bild im Bild, das wir zunächst optisch wahrnehmen, dann aber mit unserem ganzen Geist.
*Die Welt fließt ja durch den Künstler hindurch, als wäre sie ein sich selbst beobachtendes Messgerät... Vielleicht malt sich die Natur selbst und spielt im Künstler ihre ganzen Bedeutungen und Möglichkeiten durch. So gesehen ist die Kunst eine (allerdings sehr subtile) Variante der Natur, und wir sehen in den Bildern die tautologischen Gesetze, die Momentaufnahmen des Zufalls, der im Bild zur Notwendigkeit wird. Der italienische Maler Renato Guttuso sagte zum Geheimnis dieses Schöpfungsprozesses: „Es ist das Bild, das von einem bestimmten Punkt an befiehlt. Man beginnt ein Bild mit der Idee, es zu beherrschen, zu tun, was man will. Aber dann merkt man auf einmal, dass das Bild eigene Gesetze aufstellt, die unabhängig sind von den eigenen Gedanken und die einen zwingen, gewisse Dinge zu tun oder zu lassen: Aufgrund einer Logik, die von den Formen abhängt - aber nicht nur von ihnen.“ Das ist das Geheimnis, das jeder an sich selbst spürt und nur schwer beschreiben kann, auch Guttuso konnte es nicht genau sagen. Wie sollte ich es hier besser können, ich kann es auch nur ahnend deuten oder das Selbstevidente ablesen an den Bildern, die ich sehe.
Ein kleines Wort zu den Handabzügen. Die natürliche Maserung des Holzes, das nicht absolut glatt poliert ist, wird ins Bild integriert – der Eindruck des nicht Perfekten ist beabsichtigt, das Bild wirkt lebendiger. Im Unterschied dazu sehen maschinelle Drucke oft glatt und leblos aus. Jede bewusste oder hingenommene ‚Ungenauigkeit’ erzeugt oft eine metaphorische Wirkung – denn Maserung und Farblücken evozieren Deutung, übersteigen die Haut des Realen, indem sie andere Akzente setzen; sie erweitern die multiperspektivistischen Methode der bildnerischen Arbeit durch handwerkliche Akzente.
Die Strenge im Bild ist „die Bemühung um das Wesentliche, gar nicht mehr so sehr die Liebe zum Sujet“, schrieb mir Otto Eberhardt vor Jahren. Von innen betrachtet: Jeder Ausschnitt von 2 mal 2 cm muss in sich ein gutes Bild sein (Grieshaber), es muss also den Aspekt der Ganzheit auch im Kleinen in sich tragen, damit das Bildganze am Ende mehr als die Summe seiner Teile ist. So gesehen sind Otto Eberhardts optische Kompositionen kosmische Bilder.
Otto Eberhardts im Bild gestaltete Welt will ein ein Echo des Ganzen sein. Mit dieser Haltung steht Otto Eberhardt der Kunstauffassung der Renaissance nahe. Die bedeutendsten Holzschnitte, etwa die von Dürer, sind in dieser Zeit entstanden, und insofern sie keine christlichen Bilder sind, sondern, frei von religiöser ikonischer Tradition, Landschaftsbilder oder Bilder des menschlichen Körpers, Bilder der Stadt und des Alltagslebens, sind sie Versuche von Künstlern, die sich verstanden als Schöpfer eines Weltbilds. Hier wird das Bild der Welt, das im Kopf des ebenbildlichen Schöpfer-Künstlers entsteht, im Dialog mit der gesehenen und erlebten Welt schließlich sichtbar. Otto Eberhardts Venedig zum Beispiel: Die Stadt, die „vom Himmel herabgestiegen“ ist, hat Gott selber gebaut! Da darf kein Tourist das Bild stören, denn er vernichtet die Idee. Otto Eberhardt zeichnet nicht das profane alltägliche Leben nach, sondern zeigt die Erschaffung Gottes durch den Menschen: Die Kunst. Eberhardt will nicht die Auflösung aller Strukturen, wie sie in der Kunst-Moderne sich ihm oft zeigt, er will allenfalls das Fragment gelten lassen, das aufs Ganze hinweist oder es vertritt.
Otto Eberhardts Holzschnitte stehen in der Tradition des deutschen Expressionismus, an die auch Grieshaber sich anschloss, ohne sich ins unverständlich Modernistische zu verlieren, sie gehören zu einer Epoche, in der das Individuum noch integriert ist in der Natur oder in einem Ganzen, in einer Idee des Schönen, wenn auch teilweise mit den Mitteln der Verfremdung von Perspektive, Farbe, Proportion - die gesehene Welt wird nicht mehr so sicher geglaubt, sie zerbricht aber noch nicht in den Linien des Bildes und in der formalen Komposition, die sich immer noch auf die kosmische Ganzheit bezieht, sondern sie manchmal sogar beschwört.
Das Problem des Holzschnitts ist die Balance von Reduktion und Genauigkeit oder verständlicher Abstraktion und anregender Gegenständlichkeit, von formaler Präsenz und plastischer Lebendigkeit. Gern zitiert Otto Michelangelo, der seinen Moses anschrie: Sprich! Er sagt: „Die Abstraktion liegt in der Formulierung, die ich dem Gegenstand gebe. Da sind – wie immer in der Kunst – mehrere Lösungen denkbar, ich muss eine wählen und durchhalten. Bei Ottilie Baumanns Porträt wählte ich in bester Renaissance-Tradition die ausdrucksvollen Hände.“ Sie verweisen auf den Leser. Die Augen schauen nach innen – vielleicht zur gelesenen Welt.
[Otto Eberhardts Blick ist auch durch den Kubismus geschult, so dass er in den Motiven oft strenge geometrische Formen sieht und seinen Bilder anverwandelt. Durch das Verbleiben beim Gegenständlichen muss er nicht jede Form erfinden, wodurch die Bilder an Qualität gewinnen, denn sie sind frei von Überstilisierung. Kunst statt Künstlichkeit!]
Die Holzschnitte entfalten einen unverwechselbaren Personalstil. Sie sind im Stil erstaunlich einheitlich, die neueren Holzschnitte jedoch werden – vielleicht unter dem Einfluss der vielen in den letzten Jahren entstandenen, sehr großformatigen Aquarelle – immer malerischer, sie entfernen sich von aller Ornamentik, die es anfangs hier und da gab, etwa bei den Tierbildern im Kreis (es sind allerdings keine Tierkreisbilder).
Was wir hier sehen, sind Gebete eines Menschen, der aus sich heraus die Wahrheit zur Schönheit im Bild kristallisiert. Wir können sie sehen als Mahnung und Bewahrung einer unbesiegbaren Hoffnung: Ihr habt das Paradies auf Erden, wenn auch nur als Fingerzeig und Bild einer Erinnerung oder Hoffnung. So gesehen ist Otto Eberhardt ein Maler, Zeichner und Holzschnittmeister.